Der Begriff τέχνη bei Plato

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III. Tugendlehre

Auch für dieses Gebiet der Philosophie wird es sich zeigen, wie der strenggefaßte τέχνη-Begriff die Formulierung der einzelnen Lehren bestimmt. Und weiter werden wir auch hier sehen, wie die Medizin und medizinisch-naturwissenschaftliche Vorstellungen Plato bei der Ausbildung [d] seiner Tugendlehre beeinflussen.

Plato sucht ein objektives Prinzip für den Aufbau des Systems der ἀρεταί der Seele und findet dieses, indem er, wenigstens in einer größeren Anzahl von Dialogen, medizinische Vorstellungen, aus denen heraus er die ἀρεταί des Körpers aufgestellt hatte, vom Körper auf die Seele überträgt und die ἀρεταί der Seele ganz parallel zu den ἀρεταί des Leibes aufbaut.

Das von der Medizin beeinflußte Schema der ἀρεταί des Leibes gestaltet sich folgendermaßen: die ἀρεταί des Leibes sind ὑγίεια, κάλλος und ἰσχύς. Und zwar besorgt die {43|44} ὑγίεια der ἰατρός, das κάλλος der γυμναστής (cf. Gorg.). Für die ἰσχύς gibt es keinen besonderen δημιουργός; sie ist die Fähigkeit und Energie des Körpers zu Leistungen.

In bewußter Analogie zu diesen ἀρεταί des Körpers formuliert Plato die ἀρεταί der Seele. Es sind δικαιοσύνη, σωφροσύνη und ἀνδρεία. δικαιοσύνη ist diejenige ἀρετή, die durch die strafende Vergeltung (δίκη) wie durch eine Arznei in der Seele erzeugt wird (cf. Gorg. 478a). σωφροσύνη bildet sich in der Seele durch Übung des Wissens und durch Befolgung der Regeln und Gesetze, wodurch die Seele in eine harmonische Verfassung gebracht wird. Die σωφροσύνη ist der κόσμος der Seele (cf. Gorg. 504d), ebenso wie die durch die Gymnastik gewonnene Harmonie der κόσμος des Leibes ist. Für die dritte ἀρετή der Seele, die ἀνδρεία, die Mannhaftigkeit, scheint es ebenfalls keinen δημιουργός zu geben. Sie ist entsprechend der ἰσχύς des Leibes die Fähigkeit und der Wille, das als gut Erkannte durchzusetzen.

Diese von medizinischen Vorstellungen beeinflußte Formulierung der ἀρεταί des Leibes und der Seele und ihre Parallelsetzung findet sich in den verschiedenen, jungeren und älteren Dialogen. So zählt Plato Νόμοι I. 631c <2–4> unter den ἀγαθά die drei ἀρεταί des Leibes auf, nämlich ὑγίεια, κάλλος δὲ δεύτερον, τὸ δὲ τρίτον ἰσχὺς εἴς τε δρόμον καὶ εἰς τὰς ἄλλας ἁπάσας κινήσεις, unter den ἀγαθά der Seele neben der φρόνησις die drei ἀρεταί der Seele, nämlich σώφρων ψυχῆς ἕξις … δικαιοσύνη … ἀνδρεία <631c7–d1>. Ebenso rechnet er Euthyd. 279a <8–b2> unter die ἀγαθά {44|45} neben den ἀρεταί des Leibes: τὸ ὑγιαίνειν καὶ τὸ καλὸν εἶναι καὶ τἆλλα κατὰ τὸ σῶμα ἱκανῶς παρεσκευάσθαι auch die ἀρεταί der Seele: τὸ σώφρονά τε εἶναι καὶ δίκαιον καὶ ἀνδρεῖον . — Dasselbe Schema der ἀρεταί des Leibes und der Seele finden wir dann in prägnanterer Form noch Menon 87e resp. 88a : ὑγίεια … καὶ ἰσχὺς καὶ κάλλος … σωφροσύνην … καὶ δικαιοσύνην καὶ ἀνδρείαν. — Für die Formulierung der ἀρεταί des Leibes vgl. auch Νόμοι VII. 789d <6–7>: ὑγίειαν καὶ κάλλος καὶ τὴν ἄλλην ῥώμην, und Πολ. IX. 591c : ὅπως ἰσχυρὸς ἢ ὑγιὴς ἢ καλὸς ἔσται.

Dieses Schema der ἀρεταί des Leibes und der Seele gewinnt noch an Festigkeit durch Hinzunahme der parallelen κακίαι des Leibes und der Seele. Es sind dies für den Körper νόσος, αἶσχος und ἀσθένεια, die Unfähigkeit und Unlust des Körpers zu Leistungen. Ganz parallel dazu liegen die κακίαι der Seele: ἀδικία, ἀμαθία (resp. ἀκολασία) und δειλία, die Unfähigkeit und Unlust der Seele zum Guten. Cf. Gorg. 477b <3–8>: κακίαν ἂν φήσαις ἀσθένειαν εἶναι καὶ νόσον καὶ αἶσχος καὶ τὰ τοιαῦτα; — Ἔγωγε. — Οὐκοῦν καὶ ἐν ψυχῇ πονηρίαν ἡγεῖ τινα εἶναι; — Πῶς γὰρ οὔ; — Ταύτην οὖν οὐκ ἀδικίαν καλεῖς καὶ ἀμαθίαν καὶ δειλίαν καὶ τὰ τοιαῦτα; In ähnlicher Weise formuliert Plato die κακίαι des Körpers Νόμοι I. 646b <9–10>: λεπτότητά τε καὶ αἶσχος καὶ ἀδυναμίαν.

Daß diese hier skizzierte Formulierung des Systems der ἀρεταί und κακίαι des Leibes resp. der Seele bei Plato zu einer bestimmten Starrheit gediehen ist, sodaß sie als feste Lehrmeinung Platos galt, ersehen wir aus Aristoteles’ Eudemosfragment (Valent. Rose pag. 50, 13 fgm. 45): τῇ ἁρμονίᾳ τοῦ σώματος ἐναντίον {45|46} ἐστὶν ἡ ἀναρμοστία τοῦ σώματος, ἀναρμοστία δὲ τοῦ ἐμψύχου σώματος νόσος καὶ ἀσθένεια καὶ αἶσχος· ὧν τὸ μὲν ἀσυμμετρία τῶν στοιχείων ἡ νόσος, τὸ δὲ τῶν ὁμοιομερῶν ἡ ἀσθένεια, τὸ δὲ τῶν ὀργανικῶν τὸ αἶσχος. εἰ τοίνυν ἡ ἀναρμοστία νόσος καὶ ἀσθένεια καὶ αἶσχος, ἡ ἁρμονία ἄρα ὑγίεια καὶ ἰσχὺς καὶ κάλλος. ψυχὴ δὲ οὐδέν ἐστι τούτων οὔτε ὑγίεια φημὶ οὔτε ἰσχὺς οὔτε κάλλος· ψυχὴν γὰρ εἶχε καὶ ὁ Θερσίτης αἴσχιστος ὤν. οὐκ ἄρα ἐστὶν ἡ ψυχὴ ἁρμονία.

Die bewußte Analogie der Medizin auf dem Gebiete der Psyche geht weiter. Für das wahre, nicht nur scheinbare Wohlbefinden des Körpers gibt es zwei τέχναι: die ἰατρική und die γυμναστική, die beide nur auf das Beste des Leibes bedacht sind, um ihm die wahre, echte Gesundheit und Schönheit zu verschaffen. — Besser ist es freilich, wenn man des Arztes nicht bedarf. Bedarf man seiner aber, so soll man mutig hingehen und von ihm sich schneiden und brennen lassen und die augenblicklichen Schmerzen nicht scheuen, um die Gesundheit des Körpers wieder zu erlangen (cf. Gorg. 478c).

Die diesen κολακεῖαι für den Leib genau entsprechenden κολακεῖαι für die Seele sind ῥητορική und σοφιστική. Und zwar ist die ῥητορική das Schattenbild der wahren δικαιοσύνη und entspricht so der ὀψοποιική, dem Schattenbild der wahren τέχνη ἰατρική. Denn auch ihr ist es nicht zu tun um die wahre {47|48} Gesundheit der Seele, die durch Strafen und Zurechtweisen bewirkt wird, sondern sie sucht sich nur bei der Seele beliebt zu machen, indem sie ihren Lüsten, ihren Begierden und Leidenschaften schmeichelt und sie ihr zu erfüllen strebt, ohne Rücksicht darauf, ob die Seele dadurch besser oder schlechter wird. — Die σοφιστική ist das Schattenbild der νομοθετική und entspricht so der κομμωτική des Leibes, dem Schattenbilde der wahren τέχνη γυμναστική. Denn nicht die wahre, eigentliche Schönheit der Seele bewirkt sie, indem sie sie schmückt mit wirklichem Wissen und edlem Anstand, sondern sie stattet sie nur aus mit unnützem, überflüssigem Prunkwissen.

Wir sahen, wie das medizinische Denken Plato so weit beeinflußt, daß er die ἀρεταί der Seele ganz nach dem Muster der auf ἰατρική und γυμναστική gegründeten ἀρεταί des Leibes bildet. Ihm ist überhaupt die tugendhafte Seele die gesunde, die unsittliche die kranke. Cf. Gorg. 478a <2–5>: ποῖ ἄγομεν καὶ παρὰ τίνας τοὺς κάμνοντας τὰ σώματα; — Παρὰ τοὺς ἰατρούς, ὦ Σώκρατες. — Ποῖ δὲ τοὺς ἀδικοῦντας καὶ τοὺς ἀκολασταίνοντας; — Παρὰ τοὺς δικαστὰς λέγεις; Man vergl. ferner Gorg. 524<d7–525a6>, wo von den Seelen der Ungerechten in der Unterwelt die Rede ist: ἐπειδὰν οὖν ἀφίκωνται παρὰ τὸν δικαστήν … κατεῖδεν οὐδὲν ὑγιὲς ὂν τῆς ψυχῆς, ἀλλὰ διαμεμαστιγωμένην καὶ οὐλῶν μεστὴν ὑπὸ ἐπιορκιῶν καὶ ἀδικίας, ἃ ἑκάστη ἡ πρᾶξις αὐτοῦ ἐξωμόρξατο εἰς τὴν ψυχήν, καὶ πάντα σκολιὰ ὑπὸ ψεύδους καὶ ἀλαζονείας καὶ οὐδὲν εὐθὺ διὰ τὸ ἄνευ ἀληθείας τεθράφθαι· καὶ ὑπὸ ἐξουσίας καὶ τρυφῆς καὶ ὕβρεως καὶ ἀκρατίας τῶν πράξεων ἀσυμμετρίας {48|49} καὶ αἰσχρότητος γέμουσαν τὴν ψυχὴν εἶδεν.

Die äußersten Konsequenzen seiner Lehre erwachsen Plato aus dieser Beeinflussung durch die Medizin. Der allem Empfinden seiner Zeit widersprechende Satz: Unrechttun ist ein größeres Übel als Unrechtleiden (cf. Gorg. 469d), ruht auf der Auffassung, daß die ἀδικία eine Krankheit der Seele, die Strafe eine Heilung von dieser Krankheit und, wenn sie auch wie die Behandlung des Arztes bitter und schmerzhaft, doch wegen des dadurch bewirkten Guten heilsam und der {49|50} Straflosigkeit vorzuziehen ist, und daß die Gerechtigkeit, selbst wenn man Unrecht leidet, die Gesundheit der Seele und das einzig wünschenswerte Gut ist.

Die “Tugendwissenschaft”, die dem Sokrates vorschwebte, und die Plato weit einseitiger und schärfer, aber auch weit bewußter als methodisches Suchen und theoretisches Erkennen herausarbeitet, beobachten wir gewissermaßen in ihrer Entstehung Schritt vor Schritt. Plato stellt sich die klare Aufgabe, die sokratischen ζητήσεις auszubauen zu einer τέχνη. Dabei ist nichts wichtiger, als daß er diese neue Wissenschaft als Wissenschaft von der ψυχή, ihren παθήματα, ihrer ὑγίεια und νόσος konstituiert, nicht als bloße Normwissenschaft im abstrakten Sinne; hier liegt die Anlehnung an das methodische Vorbild zutage. Der normative Charakter kommt erst durch einen anderen Einfluß hinein, der hier nicht zu behandeln ist.

Eine weitere Reihe von Sätzen seiner Tugendlehre gewinnt Plato, indem er den Begriff der τέχνη auf die ἀρετή anwendet.

Die ἀρετή ist für Plato das Resultat einer τέχνη und ist deshalb, wie jedes Resultat einer τέχνη, ihrem Wesen nach τάξις, Ordnung und Harmonie. Denn jede τέχνη geht darauf aus, ihr Wert zur Vollkommenheit zu bringen, indem sie seine Teile in bestimmte Ordnung bringt oder in bestimmter Ordnung hält. Auch die Vollkommenheit, die ἀρετή des Leibes, besteht darin, daß Ordnung, das richtige Verhältnis seiner Bestandteile, in ihm herrscht oder in ihm durch die ἰατρική wiederhergestellt wird. Ebenso beruht auch die Vollkommenheit, die ἀρετή der Seele auf τάξις. Plato führt dies im {50|51} Gorgias aus. Cf. 503e <1–504d3>: πάντες δημιουργοὶ βλέποντες πρὸς τὸ αὑτῶν ἔργον ἕκαστος οὐκ εἰκῇ ἐκλεγόμενος προσφέρει ἃ προσφέρει πρὸς τὸ ἔργον τὸ αὑτοῦ, ἀλλ’ ὅπως ἂν εἶδός τι αὐτῷ σχῇ τοῦτο ὃ ἐργάζεται. οἷον εἰ βούλει ἰδεῖν τοὺς ζωγράφους, τοὺς οἰκοδόμους, τοὺς ναυπηγούς, τοὺς ἄλλους πάντας δημιουργούς, ὅντινα βούλει αὐτῶν, ὡς εἰς τάξιν τινὰ ἕκαστος ἕκαστον τίθησι ὃ ἂν τιθῇ, καὶ προσαναγκάζει τὸ ἕτερον τῷ ἑτέρῳ πρέπον τε εἶναι καὶ ἁρμόττειν, ἕως ἂν τὸ ἅπαν συστήσηται τεταγμένον τε καὶ κεκοσμημένον πρᾶγμα· καὶ οἵ τε δὴ ἄλλοι δημιουργοὶ καὶ οὓς νῦν δὴ ἐλέγομεν, οἱ περὶ τὸ σῶμα, παιδοτρίβαι τε καὶ ἰατροί, κοσμοῦσί που τὸ σῶμα καὶ συντάττουσιν … τάξεως ἄρα καὶ κόσμου τυχοῦσα οἰκία χρηστὴ ἂν εἴη, ἀταξίας δὲ μοχθηρά … καὶ πλοῖον ὡσαύτως … καὶ μὴν καὶ τὰ σώματα … τί δ’ ἡ ψυχή; ἀταξίας τυχοῦσα ἔσται χρηστή, ἢ τάξεώς τε καὶ κόσμου τινός; — Ἀνάγκη ἐκ τῶν πρόσθεν καὶ τοῦτο συνομολογεῖν. — Τί οὖν ὄνομά ἐστιν ἐν τῷ σώματι τῷ ἐκ τῆς τάξεώς τε καὶ τοῦ κόσμου γιγνομένῳ; — Ὑγίειαν καὶ ἰσχὺν ἴσως λέγεις; — Ἔγωγε. τί δὲ αὖ τῷ ἐν τῇ ψυχῇ ἐγγιγνομένῳ ἐκ τῆς τάξεως καὶ τοῦ κόσμου; πειρῶ εὑρεῖν καὶ εἰπεῖν ὥσπερ ἐκεῖνο τὸ ὄνομα … ἐμοὶ γὰρ δοκεῖ ταῖς μὲν τοῦ σώματος τάξεσιν ὄνομα εἶναι ὑγιεινόν, ἐξ οὗ ἐν αὐτῷ ἡ ὑγίεια γίγνεται καὶ ἡ ἄλλη ἀρετὴ τοῦ σώματος, … ταῖς δέ γε τῆς ψυχῆς τάξεσι καὶ κοσμήσεσι νόμιμόν τε καὶ νόμος, ὅθεν καὶ νόμιμοι γίγνονται καὶ κόσμιοι· ταῦτα δ’ ἔστι δικαιοσύνη τε καὶ σωφροσύνη. Die ἀρεταί der Seele, δικαιοσύνη und σωφροσύνη, sind für Plato τάξις und κόσμος der Seele, und er setzt voraus, daß, wie beim Leibe τάξις und κόσμος durch die ἰατρική, so bei der Seele τάξις und κόσμος ebenfalls durch eine τέχνη hervorgerufen werden. Er charakterisiert überhaupt die ἀρετή eines jeden Dinges ihrem inneren Wesen {51|52} nach als τάξις und führt—dies ist da Eigentümliche seiner Lehre—jede ἀρετή auf eine τέχνη zurück. Cf. Gorg. 506d <5–e2>: ἥ γε ἀρετὴ ἑκάστου, καὶ σκεύους καὶ σώματος καὶ ψυχῆς αὖ καὶ ζῴου παντός, οὐ τῷ εἰκῇ κάλλιστα παραγίγνεται, ἀλλὰ τάξει καὶ ὀρθότητι καὶ τέχνῃ, ἥτις ἑκάστῳ ἀποδέδοται αὐτῶν … τάξει ἄρα τεταγμένον καὶ κεκοσμημένον ἐστὶν ἡ ἀρετὴ ἑκάστου.

Auf den Usprung jeder ἀρετή aus seiner τέχνη gründet sich auch die Bedeutung des Wortes ἀγαθός. Es gibt, wie wir sahen, eine ἀρετή eines jeglichen Dinges, eines Werkzeuges, eines Körpers, einer Seele und überhaupt eines jeden Organismus. Diese ἀρετή ist der Zustand der höchsten Vollendung, der größten Leistungsfähigkeit; es ist der Zustand, in dem ein Ding den Zweck, zu dem es gemacht ist, am besten erfüllen kann. Ἀρετή, Tugend, ist so Tauglichkeit, Tüchtigkeit; ἀγαθόν ist dasjenige Ding, das tauglich ist zur Erfüllung seines Zweckes. So hat ἀγαθός die Bedeutung ὠφέλιμος und χρηστός, und das Gegenteil, κακός, die Bedeutung βλαβερός und πονηρός. Cf. Gorg. 499c <7–e1>: ἡδοναί τινές εἰσιν αἱ μὲν ἀγαθαί, αἱ δὲ κακαί … ἀγαθαὶ μὲν αἱ ὠφέλιμοι, κακαὶ δὲ αἱ βλαβεραί … ὠφέλιμοι δέ γε ἀγαθόν τι ποιοῦσαι, κακαὶ δὲ αἱ κακόν τι· … [sc. τῶν ἡδονῶν] αἱ μὲν ὑγίειαν ποιοῦσαι ἐν τῷ σώματι ἢ ἰσχὺν ἢ ἄλλην τινὰ ἀρετὴν τοῦ σώματος, αὗται μὲν ἀγαθαί, αἱ δὲ τἀναντία τούτων κακαί. Auch der sokratische Satz “Tugend ist Wissen” bedeutet dem Plato soviel als daß er die ἀρετή als eine τέχνη auffaßt und die Bestimmungen, die er einer jeden τέχνη gibt, auch auf die ἀρετή anwendet. Die τέχνη repräsentiert eben das Wissensideal der Zeit, {52|53} in der dieser Satz geboren wurde, so beschränkt es sein mag selbst im Vergleich mit dem, was Plato selbst in schwerem Ringen schließlich erreicht hat. Erste Voraussetzung einer jeden τέχνη ist eine ihr eigene ἐπιστήμη, ein spezielles dieser τέχνη zukommendes Wissen. Zu jeder τέχνη gehört eine μάθησις, ein μεμαθηκέναι, ein ἐπιστήμονα εἶναι. Zur ἀρετή, dem tugendhaften Leben, und zur δικαιοσύνη, der Einrichtung des privaten und öffentlichen Lebens nach der Gerechtigkeit, gehört, weil sie eine τέχνη, ebenfalls ein Wissen, und zwar das Wissen von dem, was in Wahrheit gut und schlecht, was gerecht und ungerecht ist. Weil ohne dies Wissen keine ἀρετή, keine δικαιοσύνη möglich ist, darum verlangt Plato von den Rhetoren, die behaupten, die rechte Art der Lebensführung, die ἀρετή, die δικαιοσύνη, lehren zu können, daß sie dies Wissen vom Guten und Schlechten, vom Gerechten und Ungerechten haben (cf. Gorg. 459d und Prot. 313e). Der Intellektualismus in Platos Denken führt ihn dazu, daß er alle anderen Elemente, die das Handeln und die ἀρετή eines Menschen bestimmen außer Wissen und Nichtwissen übersieht und jede ἀρετή als eine ἐπιστήμη auffassen will. So erklärt er Euthyphron 14d die Frömmigkeit als ein Wissen vom Opfer und Gebet, als eine Kenntnis des Bittens und Gebens betreffs der Götter. Die ἀνδρεία definiert er Laches 195a als die ἐπιστήμη τῶν δεινῶν τε καὶ θαρραλέων, und im Protagoras 960d nennt er sie die Kenntnis dessen, was furchtbar ist und nicht. Die ἀρετή kann er immer nur als ein Wissen, eine τέχνη fassen. Selbst wenn er sich auf {53|54} den Standpunkt stellen wollte, daß das ἀγαθόν und ἡδύ identisch, so bliebe doch die ἀρετή für ihn ein Wissen, eine τέχνη μετρητική, ein Abmessen der einzelnen Lüste gegeneinander (cf. Prot. 357a f.). Dies Wissenselement in der platonischen ἀρετή ist jedoch nicht ein Wissen von nur “technischer” Art und Bedeutung in unserem (modernen) Sinne, d.h. eine gewisse δεινότης in der Wahl der Mittel u. dgl., sondern ein lebendiges und ein Wesenswissen. [4]

Daraus, daß die ἀρετή eine τέχνη ist und wie jede τέχνη auf einem Wissen beruht, folgt, daß sie lehrbar ist. Die Bedenken, die im Protagoras gegen die Lehrbarkeit der ἀρετή geltend gemacht warden—die Athener verlangten für die ἀρετὴ πολιτική keine speziellen δημιουργοί wie für die anderen τέχναι (cf. <Prot.> 319b f.); und die τεχνικοί der ἀρετή wären sehr oft nicht imstande, einen Anderen τεχνικός zu machen, wie es doch in jeder anderen τέχνη der Fall wäre (cf. 319e f.)—diese Bedenken setzen eben voraus, daß die ἀρετή als eine τέχνη aufgefaßt werden soll, der, wie jeder anderen τέχνη ein spezielles Wissen zu Grunde liegen muß. Und die Entgegnungen auf diese Bedenken wollen nachweisen, daß die ἀρετὴ πολιτική wirklich auf einem Wissen beruht (cf. 322c ff.) und durch ein Wissen und Unterricht und Übung zustandekommt (cf. 323c ff.). Und weiter wird dann als einziges Hindernis, die ἀρετή dauernd zu behalten, und als einzige Möglichkeit, κακός zu werden, der Verlust des Wissens durch eine ἀμήχανος συμφορά erklärt (cf. 345b : αὕτη γὰρ μόνη ἐστὶ κακὴ πρᾶξις, ἐπιστήμης στερηθῆναι). Und am Schluß des Dialoges {54|55} findet Plato als Ergebnis der Untersuchungen, ὡς πάντα χρήματά ἐστιν ἐπιστήμη, καὶ ἡ δικαιοσύνη, καὶ ἡ σωφροσύνη καὶ ἡ ἀνδρεία, ᾧ τρόπῳ μάλιστ’ ἂν διδακτὸν φανείη ἡ ἀρετή (361b <1–3>). Wenn nun die ἀρετή eine τέχνη sein soll, dann folgt, daß wie bei jeder τέχνη, so auch bei der ἀρετή derjenige, der das Wissen der ἀρετή hat, τεχνικός ist, d.h. daß er auch das Handeln der ἀρετή beherrscht, daß er ein ἀγαθός ist. Cf. Gorg. 460b <1–8>: ὁ τὰ τεκτονικὰ μεμαθηκὼς τεκτονικός, … ὁ τὰ μουσικὰ μουσικός … ὁ τὰ ἰατρικὰ ἰατρικός καὶ τἆλλα οὕτως κατὰ τὸν αὐτὸν λόγον, ὁ μεμαθηκὼς ἕκαστα τοιοῦτός ἐστιν οἷον ἡ ἐπιστήμη ἕκαστον ἀπεργάζεται … κατὰ τοῦτον τὸν λόγον καὶ ὁ τὰ δίκαια μεμαθηκὼς δίκαιος … ὁ δὲ δίκαιος δίκαιά που πράττει. So gewinnt Plato den Satz, daß derjenige, der das Gute weiß, es auch tut. Wo das Wissen von der ἀρετή vorhanden ist, da gestaltet es auch als beherrschende Macht das Leben des Menschen. Cf. Prot. 352<c4–d3>: ἐάνπερ γιγνώσκῃ τις τἀγαθὰ καὶ τὰ κακά, μὴ ἂν κρατηθῆναι ὑπὸ μηδενὸς ὥστε ἄλλ’ ἄττα πράττειν ἢ ἃ ἃν ἐπιστήμη κελεύῃ, ἀλλ’ ἱκανὴν εἶναι τὴν φρόνησιν βοηθεῖν τῷ ἀνθρώπῳ … αἰσχρόν ἐστι καὶ ἐμοὶ σοφίαν καὶ ἐπιστήμην μὴ οὐχὶ πάντων κράτιστον φάναι εἶναι τῶν ἀνθρωπίνων πραγμάτων. Cf. auch Πολ. V. 47<7d7–9>: ἐπιστήμην … πασῶν γε δυνάμεων ἐρρωμενεστάτην.

So wurzelt auch der Satz: μηδένα βουλόμενον ἀδικεῖν, ἄλλ’ ἄκοντας τοὺς ἀδικούντας πάντας ἀδικεῖν (Gorg. 509e <6–7>) in der Auffassung der als ἀρετή als einer τέχνη. Jeder δημιουργός hat den Willen, seine τέχνη gut auszuführen; keiner ist mit Willen ein schlechter δημιουργός seiner τέχνη. So übt auch Niemand mit Willen die ἀρετή schlecht aus, Niemand tut mit {55|56} Willen Unrecht, sondern der Wille eines jeden Menschen geht auf das richtige Ausüben der τέχνη der ἀρετή. — Eine weitere Wurzel für diesen Satz, daß Niemand freiwillig Unrecht tut, liegt in der schon oben angeführten Ansicht, daß die ἀδικία ein von Niemandem erstrebtes Übel, eine Krankheit der Seele ist, und ἐπί γε τὰ κακὰ οὐδεὶς ἑκὼν ἔρχεται οὐδὲ ἐπὶ ἃ οἴεται κακὰ εἶναι, οὐδ’ ἔστι τοῦτο … ἐν ἀνθρώπου φύσει, ἐπὶ ἃ οἴεται κακὰ εἶναι ἐθέλειν ἰέναι ἀντὶ τῶν ἀγαθῶν (Prot. 358c <6–d2>).

Aus diesen beiden Wurzeln—der Auffassung der ἀρετή als einer τέχνη, die Niemand mit Willen schlecht ausübt und der Strafe als einer erstrebenswerten Heilung—ergibt sich Platos Straftheorie: der Zweck der Strafe ist Besserung. Apelt (Platon. Aufsätze pag. 189 ff.) übersieht den ersten Faktor gänzlich; den zweiten behandelt er in seiner Bedeutung für die Entstehung von Platos Theorie zu nebensächlich. Er sucht, von den “Gesetzen” ausgehend, die Wurzel der Theorie in Platos Lehre von den drei Seelenteilen: die ἀδικία besteht darin, daß der νοῦς, das oberste Seelenvermögen, getrübt wird von den niederen Seelenteilen; die Strafe erzieht den Menschen, sich von dem Triebleben abzuwenden zu einem Leben nach der Vernunft.

Jede ἀδικία—so ergibt sich ferner aus der Auffassung der ἀρετή, der δικαιοσύνη als τέχνη—ist ἀμαθία. Wie kein δημιουργός in seiner τέχνη absichtlich fehlgeht, sondern jedes Fehlgehen in der τέχνη, jedes Nichterreichen des Zieles auf eine ἀμαθία zurückzuführen ist, so auch geht in der ἀρετή Niemand {56|57} absichtlich fehl; sondern jede ἀδικία, das Verfehlen des Gerechten und Guten, ist eine ἀμαθία; und zwar eine Unkenntnis von dem Gegenstande, mit dem es diese τέχνη zu tun hat, von dem Gerechten und Ungerechten, von dem, was wirklich gut und schlecht ist, und—was auch zum Wissen einer jeden τέχνη gehört—von der Art und Weise, wie man das Ziel dieser τέχνη erreicht. Zur ἀρετή ist ein Wissen unbedingt erforderlich; der gute Wille allein, nicht Unrecht zu tun, genügt nicht, sondern wie jede andere τέχνη verlangt auch die ἀρετή eine ἐπιστήμη, μάθησις und ἄσκησις. Cf. Gorg. 509d <7–e2>: πότερον ἐὰν μὴ βούληται ἀδικεῖν ἱκανὸν τοῦτ’ ἐστίν—οὐ γὰρ ἀδικήσει—ἢ καὶ ἐπὶ τοῦτο δεῖ δύναμίν τινα καὶ τέχνην παρασκευάσασθαι ὡς, ἐὰν μὴ μάθῃ αὐτὰ καὶ ἀσκήσῃ, ἀδικήσει;

Vergleichen wir zu diesen Gedankengängen über die ἀρετή als τέχνη und über die Konsequenzen, die sich hieraus für die ἀρετή ergeben, eine Stelle aus der unter Hippokrates’ Namen gehenden Schrift Περὶ τέχνης cap. XI (Littré VI, 2; Gomperz 52): καὶ γὰρ δὴ καὶ ἃ πειρῶνται οἱ τὰ ἀφανέα νοσέοντες ἀπαγγέλλειν περὶ τῶν νοσημάτων τοῖσι θεραπεύουσιν, δοξάζοντες μᾶλλον ἢ εἰδότες ἀπαγγέλλουσιν· εἰ γὰρ ἠπίσταντο, οὐκ ἂν περιέπιπτον αὐτοῖσι· τῆς γὰρ αὐτῆς συνέσιός ἐστιν ἧσπερ τὸ εἰδέναι τῶν νούσων τὰ αἴτια, καὶ τὸ θεραπεύειν αὐτὰς ἐπίστασθαι πάσῃσι τῇσι θεραπείῃσιν, αἳ κωλύουσι τὰ νοσήματα μεγαλύνεσθαι. — Sehen wir davon ab, daß [Hippokrates] hier mit denselben Kriterien wie Plato den Unterschied von ἐπιστήμη und δόξα charakterisiert, [5] und daß auch er wie Plato von dem Wissen der τέχνη ein Kennen der Ursachen {57|58} verlangt. [6] Uns interessiert in diesem Zusammenhang nur, daß ähnlich wie von Plato das Gerechtsein, hier von Hippokrates das Gesundsein als eine τέχνη aufgefaßt wird; und daß ähnlich wie Plato auch Hippokrates den Begriff der τέχνη in fast absuder Konsequenz faßt, indem er für die τέχνη ein vollständiges Wissen [7] erfordert, das sich über alle Gebiete der betreffenden τέχνη, sowohl das Material und seine Eigenschaften, als auch die Bearbeitung und Herstellung [g] erstreckt; und daß auch bei Hippokrates derjenige, der dieses Wissen seiner τέχνη hat, nicht fehl gehen kann. Wer das Wissen vom Gesundsein vollständig besitzt, kann nicht in die Krankheit fallen; wer in die Krankheiten fällt, hat eben nicht die Krankheiten, ihre Ursachen und die Mittel, sie zu verhüten gekannt. Wie bei Plato die ἀδικία, die Krankheit der Seele, eine ἀμαθία ist, so ist auch bei Hippokrates die Krankheit des Leibes eine ἀμαθία. Die Konsequenz wäre, daß ein richtiger Arzt nicht krank und ein richtiger πολιτικός nicht ungerecht sein könnte. Plato zieht diese Konsequenz: er verlangt vom Arzt, der dem strengen Begriff der τέχνη entspricht, daß er selbst gesund ist (cf. Gorg. 514d), und vom rechten Staatsmann, daß er selbst δίκαιος ist. Cf. Gorg. 508c <1–2>: τὸν μέλλοντα ὀρθῶς ῥητορικὸν [= πολιτικὸν] ἔσεσθαι δίκαιον ἄρα δεῖ εἶναι καὶ ἐπιστήμονα τῶν δικαίων.

Mit der ἀρετή, weil sie eine τέχνη ist, ist die εὐδαιμονία unlösbar verbunden; die εὐδαιμονία ergibt sich mit Notwendigkeit aus der ἀρετή. Plato weist {58|59} zunächst für die τέχναι im Allgemeinen nach, daß εὐτυχής in seiner τέχνη immer derjenige ist, der das Wissen seiner τέχνη hat und seine τέχνη vollkommen beherrscht. So wird ihm εὐτυχία fast identisch mit σοφία. Cf. Euthyd. 279d <6–280b3>: ἡ σοφία δήπου, … εὐτυχία ἐστίν … [denn] περὶ αὐλημάτων εὐπραγίαν οἱ αὐληταὶ [also die τεχνικοί] εὐτυχέστατοί εἰσιν … περὶ γραμμάτων γραφῆς καὶ ἀναγνώσεως οἱ γραμματισταί … πρὸς τοὺς τῆς θαλάττης κινδύνους μῶν οἴει εὐτυχεστέρους τινὰς εἶναι τῶν σοφῶν κυβερνητῶν … τί δέ; στρατευόμενος μετὰ ποτέρου ἂν ἥδιον τοῦ κινδύνου τε καὶ τῆς τύχης μετέχοις, μετὰ σοφοῦ στρατηγοῦ ἢ μετὰ ἀμαθοῦς; — Μετὰ σοφοῦ. — Τί δέ; ἀσθενῶν μετὰ ποτέρου ἂν ἡδέως κινδυνεύοις, μετὰ σοφοῦ ἰατροῦ ἢ μετὰ ἀμαθοῦς; — Μετὰ σοφοῦ. — Ἆρ’ οὖν … ὅτι εὐτυχέστερον ἂν οἴει πράττειν μετὰ σοφοῦ πράττων ἢ μετ’ ἀμαθοῦς; — Ξυνεχώρει. — Ἡ σοφία ἄρα πανταχοῦ εὐτυχεῖν ποιεῖ τοὺς ἀνθρώπους. οὐ γὰρ δήπου ἁμαρτάνοι γ’ ἄν ποτέ τι σοφία, ἀλλ’ ἀνάγκη ὀρθῶς πράττειν καὶ τυγχάνειν· ἦ γὰρ ἂν οὐκέτι σοφία εἴη … σοφίας παρούσης, ᾧ ἂν παρῇ, μηδὲν προσδεῖσθαι εὐτυχίας. Die εὐδαιμονία, die εὐτυχία, gründet sich also auf das Wissen, auf die ἀρετή des Künstlers. Die εὐτυχία besteht in der σοφία, in dem ὀρθῶς τυγχάνειν; wer es gut zu treffen weiß (εὖ τυγχάνων), der ist glücklich (εὐτυχής). Diese Etymologie ist sicher falsch; aber umso wichtiger für die intellektualistische Tendenz der Zeit, die sie gemacht hat. Sie schaltet die wahre und eigentliche Τύχη fast ganz aus. Jeder trägt ausschließlich in sich selbst die Vorbedingung zu seinem Glück und {59|60} zum “Gelingen”. Dieselbe Anschauung liegt auch der Stelle Gorg. 507c <3–5> zugrunde: τὸν δὲ ἀγαθὸν εὖ τε καὶ καλῶς πράττειν ἃ ἂν πράττῃ, τὸν δὲ εὖ πράττοντα μακάριόν τε καὶ εὐδαίμονα εἶναι, τὸν δὲ πονηρὸν καὶ κακῶς πράττοντα ἄθλιον. Plato setzt auch hier die σοφία, das εὖ πράττειν, das Wohlverstehen und Wohlhandeln, identisch mit der εὐτυχία, dem εὖ πράττειν, dem Wohlergehen. Deutsch könnte man diese doppelte Bedeutung des εὖ πράττειν etwa so wiedergeben: Wems glückt, der ist glücklich. — Πολ. I. 353e <1–354a2> wendet Plato dies Verhältnis von εὐδαιμονία und Beherrschen der τέχνη auch auf die ἀρετή der Seele an: ἆρ’ οὖν ποτε … ψυχὴ τὰ αὑτῆς ἔργα εὖ ἀπεργάσεται στερομένη τῆς οἰκείας ἀρετῆς ἢ ἀδύνατον; — Ἀδύνατον. — Ἀνάγκη ἄρα κακῇ ψυχῇ κακῶς ἄρχειν καὶ ἐπιμελεῖσθαι, τῇ δὲ ἀγαθῇ πάντα ταῦτα εὖ πράττειν … ἡ μὲν ἄρα δικαία ψυχὴ καὶ ὁ δίκαιος ἀνὴρ εὖ βιώσεται, κακῶς δὲ ὁ ἄδικος … ἀλλὰ μὴν ὅ γε εὖ ζῶν μακάριός τε καὶ εὐδαίμων, ὁ δὲ μὴ τἀναντία. Auch hier folgt also aus dem Beherrschen der τέχνη das εὖ ἀπεργάζεσθαι, das εὖ πράττειν, das εὖ ζῆν, das μακάριόν τε καὶ εὐδαίμονα εἶναι. So ergibt sich für Plato, weil er die ἀρετή als eine τέχνη auffaßt, daß die εὐδαιμονία nur möglich, aber andrerseits auch von selbst gegeben ist bei einem guten und gerechten Leben.

Diese intellektualistische Fassung der εὐδαιμονία als τυχεῖν εὖ und einer τέχνη, wie sie sich besonders in der Euthydem-Stelle ausspricht, ist freilich nicht zu verallgemeinern und als letzte Erkenntnis {60|61} Platos aufzufassen. Plato ist kein bloßer Rationalist, sondern seine sittliche Problematik erwächst erst aus der Anwendung des rationalen τέχνη-Typus auf dieses neue, bisher von keinem Philosophen systematisch erfaßte gebiet des inneren Wertlebens. Die oben zitierten Stellen sind wichtig für den historischen Ausgangspunkt dieser Analogie der ἀρετή mit der τέχνη, der sicher bei Sokrates zu suchen ist, der tatsächlich wohl weit rationalistischer war, als Plato es je sein konnte. {61|62}

Footnotes

[ back ] 1. Cf. pag. 74.

[ back ] 2. Ausführliches über diese ethische Bestimmung der τέχνη s. pag. 66 f.

[ back ] 3. Cf. die pseudo-hipp. Schrift Περὶ φύσιος ἀνθρώπου IV (Littré VI, 38), die nach Aristoteles’ und Menons Vorgang—wie Fredrich (Hippokr. Unters. 56) nachweist, mit Unrecht—dem Polybos, dem Schwiegervater des Hippokrates, zugeschrieben wird: τὸ δὲ σῶμα τοῦ ἀνθρώπου ἔχει ἐν ἑαυτῷ αἷμα καὶ φλέγμα καὶ χολὴν ξανθήν τε καὶ μέλαιναν, καὶ ταῦτ᾿ ἐστὶν αὐτέῳ ἡ φύσις τοῦ σώματος, καὶ διὰ ταῦτα ἀλγέει καὶ ὑγιαίνει. ὑγιαίνει μὲν οὖν μάλιστα, ὁκόταν μετρίως ἔχῃ ταῦτα τῆς πρὸς ἄλληλα κρήσιος καὶ δυνάμιος καὶ τοῦ πλήθεος, καὶ μάλιστα μεμιγμένα ἦ.

[ back ] 4. Cf. auch pag. 61.

[ back ] 5. Cf. pag. 16 f.

[ back ] 6. Cf. pag. 13.

[ back ] 7. Cf. pag. 24 ff.