Der Begriff τέχνη bei Plato

  Use the following persistent identifier: http://nrs.harvard.edu/urn-3:hul.ebook:CHS_JeffreF.Der_Begriff_TEKHNE_bei_Plato.1922.


IV. Staatslehre

Wie jedes Handeln des Menschen, so soll auch die πολιτική eine τέχνη sein, so verlangt Plato. Die drei Hauptmomente einer τέχνη, wie er sie im Gorgias entwickelt, nämlich 1) ein dieser τέχνη eigenes Wissen, 2) als Ziel das ἀγαθόν und 3) als Resultat ein nach Prinzipien wohlgeordnetes Ganzes, werden auch von der πολιτική gefordert. Bemerkenswert ist außerdem, daß auch für diejenige τέχνη, an deren Beispiele er diese drei Merkmale demonstriert, fast immer die ἰατρική ist; und das überhaupt das Vorbild der ἰατρική fast durchweg die Tektonik und die Ausbildung auch der einzelnen Lehren der πολιτική bestimmt.

Plato stellt die δικαιοσύνη—die ihm insoweit mit der πολιτική zusammenfällt, als die Hauptaufgabe der πολιτική die δικαιοσύνη, die Gestaltung des öffentlichen Lebens unter dem Gesichtspunkte der Gerechtigkeit ist—geradezu auf gleiche Stufe mit anderen τέχναι. Cf. Πολ. I. 332c <6–d3>: ἡ τίσιν οὖν τί ἀποδιδοῦσα ὀφειλόμενον καὶ προσῆκον τέχνη ἰατρικὴ καλεῖται; … ἡ σώμασι φάρμακά τε καὶ σιτία καὶ ποτά — Ἡ δὲ τίσι τί ἀποδιδοῦσα ὀφειλόμενον καὶ προσῆκον τέχνη μαγειρικὴ καλεῖται; — Ἡ τοῖς ὄψοις τὰ ἡδύσματα … Ἡ οὖν δὴ τίσι τί ἀποδιδοῦσα τέχνη δικαιοσύνη ἂν καλοῖτο;

Plato verlangt wie von jedem andern Meister auch von dem Staatsmann als Erstes, daß er τεχνικός ist, d.h. daß er das Wissen seiner τέχνη beherrscht. Die Staatskunst, {62|63} wie Kallikles und die ῥήτορες im Gorgias sie treiben, ist keine τέχνη, weil die ῥήτορες nicht das Wissen beherrschen, weder das Wissen von dem, worüber sie sich anmaßen, reden zu können, von den τέχναι der einzelnen δημιουργοί (cf. Gorg. 459b f.), noch von dem eigentlichen Gebiet der Staatskunst, vom Gerechten und Ungerechten (cf. Gorg. 459d). — Die πολιτική stellt inbezug auf das Wissen und die Vorbildung dieselben Ansprüche wie jede andere τέχνη. Wie Jemand, der zum Bau von öffentlichen Gebäuden sich anbietet, zuerst nachweisen muß, daß er die τέχνη versteht, daß er sie von tüchtigen Lehrern gelernt hat, daß er schon viele brauchbare und schöne Häuser für Private aufgeführt hat; und wie Jemand, der das Amt eines öffentlichen Arztes in Anspruch nimmt, zunächst nachweisen muß, daß er das Wissen seiner τέχνη gelernt hat, daß er selbst gesund ist, daß er die τέχνη von Jugend an geübt hat, und daß er schon viele Menschen gesund gemacht hat; so muß auch der, der als Staatsmann öffentlich auftreten will, zuerst dieselben Bedingungen einer τέχνη erfüllen (cf. Gorg. 514b ff.). Auch der πολιτικός braucht zu seinem Berufe eine gute Anlage (φύσις), auch er muß sich von Jugend an in seinem Berufe geübt haben (μελέτη) und sich das spezielle Wissen (ἐπιστήμη) seiner τέχνη erworben haben (cf. Phaedr. 269e).

Ähnliche Forderungen wie an das Wissen des ἰατρικός sind auch an das des πολιτικός zu stellen. Der Arzt hat das Wissen vom Gesunden und Ungesunden für den Körper, der Staatsmann das Wissen vom Gesunden und Ungesunden für die Seele. Wie nun das Wissen des Arztes und seine Behandlungsweise des {63|64} Körpers, so soll auch das Wissen des Staatsmannes und seine Behandlungsweise der Seele beschaffen sein. Ὁ αὐτός που τρόπος τέχνης ἰατρικῆς ὅσπερ καὶ ῥητορικῆς, sagt Plato im Phaedros (270b <1–2>). Die Prinzipien der Wissenschaftlichkeit, die er an dieser Stelle von der ἰατρική ableitet und auf die ῥητορική angewandt wissen will, haben wir in dem Abschnitt über die Rhetorik behandelt. Abstrahieren wir von dem rein Formalen der ῥητορική und betrachten wir sie inhaltlich, wie Plato es bereits im Gorgias tut und fordert, d.h. als πολιτική, [1] so gelten von ihr dieselben Grundsätze wie von der ἰατρική. Wie es für den Arzt nicht genügt, wenn er einige Mittelchen weiß, wie man den Körper z.B. zum Abkühlen und Erhitzen, zum Erbrechen und zum Abführen bringt, sondern er auch wissen muß, an wem, wann, bei welcher Krankheit und bis zu welchem Grade er dies tun muß, und er als Voraussetzung für dies richtige Verfahren die Natur des menschlichen Körpers einerseits und die Wirksamkeit der Arzneimittel andrerseits genau kennen muß, wenn er die beabsichtigte Wirkung erzielen will, so muß auch der Staatsmann, wenn er mit Reden die Seelen der Menschen bessern will, zuerst genau die Natur der menschlichen Seele kennen, muß wissen, daß es verschieden geartete Seelen gibt; ferner muß er die verschiedenen Arten der Reden (Arzneimittel) und ihre verschiedene {64|65} Wirksamkeit kennen; dazu den richtigen Zeitpunkt (καιρός), [2] wann die Behandlung einzusetzen hat. Außerdem muß er noch wissen, welche Reden auf welche Seelen günstig einwirken und welche auf andere. Und so muß er jede Seele individuell behandeln wie der Arzt jeden Körper (cf. Phaedr. 268a–272b). [3]

Plato vergleicht die schriftlich niedergelegten und mündlich überlieferten Vorschriften des Arztes mit den Gesetzen des Staates, den geschriebenen und den in Form von Sitten und Anschauungen mündlich überlieferten. Über den Wert dieser Vorschriften des Arztes und Gesetze des Staatsmanns vom Standpunkte der individuellen Behandlung aus gesehen spricht Plato im Politikos (294a ff.): da kein Körper dem andern gleicht und infolgedessen alle Arzneimittel auf jeden Körper verschieden wirken, lassen sich eigentlich für die Behandlung des Körpers keine allgemein-gültigen Vorschriften aufstellen, weil diese der Individualität jedes einzelnen Körpers nicht gerecht werden können. Das Ideal ist, daß der Arzt jeden einzelnen Körper individuell behandelt, nicht nach schriftlich niedergelegten oder mündlich überlieferten festen Vorschriften, sondern aus der Fülle seines lebendigen Wissens, seiner τέχνη, heraus. Ebenso ist es mit dem Staatsmann. Cf. Polit. 294a <7–c8>: τὸ δ’ ἄριστον οὐ τοὺς νόμους ἐστὶν ἰσχύειν, ἀλλ’ ἄνδρα τὸν μετὰ φρονήσεως βασιλικόν … ὅτι νόμος οὐκ ἄν ποτε δύναιτο τό τε ἄριστον καὶ τὸ δικαιότατον {65|66} ἀκριβῶς πᾶσιν ἅμα περιλαβὼν τὸ βέλτιστον ἐπιτάττειν· αἱ γὰρ ἀνομοιότητες τῶν τε ἀνθρώπων καὶ τῶν πράξεων καὶ τὸ μηδέποτε μηδέν, ὡς ἔπος εἰπεῖν, ἡσυχίαν ἄγειν τῶν ἀνθρωπίνων, οὐδὲν ἐῶσιν ἁπλοῦν ἐν οὐδενὶ περὶ ἁπάντων καὶ ἐπὶ πάντα τὸν χρόνον ἀποφαίνεσθαι τέχνην οὐδ’ ἡντινοῦν … τὸν δέ γε νόμον ὁρῶμεν σχεδὸν ἐπ’ αὐτὸ τοῦτο ξυντείνοντα, ὥσπερ τινὰ ἄνθρωπον αὐθάδη καὶ ἀμαθῆ καὶ μηδένα μηδὲν ἐῶντα ποιεῖν παρὰ τὴν ἑαυτοῦ τάξιν, μηδ’ ἐπερωτᾶν μηδένα, μηδ’ ἄν τι νέον ἄρα τῳ ξυμβαίνῃ βέλτιον παρὰ τὸν λόγον, ὃν αὐτὸς ἐπέταξεν … οὐκοῦν ἀδύνατον εὖ ἔχειν πρὸς τὰ μηδέποτε ἁπλᾶ [sc. das Leben mit seinen vielen Differenzierungen] τὸ διὰ παντὸς γιγνόμενον ἁπλοῦν [sc. das starre geschriebene Gesetz]. Diese Stelle ist sehr interessant, weil Plato hier die herrschende Auffassung der athenischen Demokratie bestreitet, die Herrschaft der νόμοι, die er noch im Kriton als Ideal dem Sokrates in den Mund legt, um ihn als gut demokratisch-verfassungstreuen Athener zu charakterisieren. Eben dies mechanische Prinzip der Gesetzesherrschaft kritisiert er im Politikos vom Begriffe der τέχνη (= lebendiges Wissen) aus. Der Rechtsstaat bedarf außer den νόμοι noch der lebendigen Kunst des Politikers, wie die Medizin der des ἰατρός.

Wenn nun auch das Richtigste ist, daß der Arzt und der Herrscher auf Grund ihres Wissens, ihrer τέχνη, in jedem einzelnen Falle ihre Entscheidungen treffen, unbehindert durch starre Vorschriften und Gesetze, so lassen sich doch bei der Unmöglichkeit der individuellen Behandlung infolge der großen Zahl der Menschen weder Vorschriften noch Gesetze ganz entbehren (cf. Polit. 294d). Der Arzt oder Gymnastiker, {66|67} der für alle Menschen zu sorgen hat, hat nicht die Zeit, sich nur um einen Einzelnen zu bemühen und die Vorschriften genau dessen Individualität anzupassen, sondern mehr aus dem Groben heraus gibt er Vorschriften, die im Allgemeinen das allen Körpern Zuträgliche enthalten. Ebenso kann auch der Staatsmann nicht für jeden Einzelnen das für ihn Gerechte und Gebührliche anordnen, da er über Alle insgesamt zu herrschen hat, sondern er gibt die Gesetze dem Haufen im Ganzen genommen und mithin dem Einzelnen nur schlecht passend. Diese geschriebenen Vorschriften und Gesetze sind darum nur ein Notbehelf, ein notwendiges Übel. Das Ideal bleibt immer das lebendige, sich dem Einzelfall anpassende Wissen, die τέχνη des Arztes und des Staatmannes.

Wo es zum Konflikt kommt zwischen der τέχνη, dem lebendigen Wissen, und den starren schematischen Vorschriften und Gesetzen, hat natürlich die τέχνη (das Können als souveräne geistige Beherrschung einer Sache, der “Geist” im Gegensatze zum “Buchstaben”) den Vorzug (cf. Polit. 295c). Denn einem Arzte kann man es nicht zumuten, daß er die Vorschriften, die er oder ein Anderer vor langer Zeit gegeben hat, unter veränderten Verhältnissen, die eine andere Behandlungsweise nötig machen, starr befolgt und nicht nach seinem besseren Wissen, seiner τέχνη, verfährt, mag er auch alle überlieferten Vorschriften, die doch nur Notbehelfe sind, umstürzen. Ebenso ist auch der Staatsmann an die Gesetze, die er selbst oder ein Anderer als Notbehelf gegeben hat, nicht gebunden, wenn unter veränderten Verhältnissen die richtige Einsicht, die {67|68} τέχνη, etwas Anderes als recht erkannt hat. Denn in jeder Herrschaft steht die τέχνη über den Gesetzen. Cf. Polit. 296e <4–297b3>: ὥσπερ ὁ κυβερνήτης τὸ τῆς νεὼς καὶ ναυτῶν ἀεὶ συμφέρον παραφυλάττων, οὐ γράμματα τιθεὶς ἀλλὰ τὴν τέχνην νόμον παρεχόμενος, σῴζει τοὺς συνναύτας, οὕτω καὶ κατὰ τὸν αὐτὸν τρόπον τοῦτον παρὰ τῶν οὕτως ἄρχειν δυναμένων ὀρθὴ γίγνοιτ’ ἂν πολιτεία, τὴν τῆς τέχνης ῥώμην τῶν νόμων παρεχομένων κρείττω; καὶ πάντα ποιοῦσι τοῖς ἔμφροσιν ἄρχουσιν οὐκ ἔστιν ἁμάρτημα, μέχριπερ ἂν ἓν μέγα φυλάττωσι, τὸ μετὰ νοῦ καὶ τέχνης δικαιότατον ἀεὶ διανέμοντες τοῖς ἐν τῇ πόλει σῴζειν τε αὐτοὺς οἷοί τε ὦσιν καὶ ἀμείνους ἐκ χειρόνων ἀποτελεῖν κατὰ τὸ δυνατόν; — Und wie in Wahrheit dasjenige das Gesundheitsmäsige und das τεχνικόν ist, was selbst gegen den Willen des Kranken nach der τέχνη, wenn auch wider die bestehenden Vorschriften vom Arzte getan wird, so ist auch im höchsten Sinne gesetzlich und τεχνικόν, was der Staatsmann, wenn auch gegen den Willen der Bürger, nach seiner besseren Einsicht und Vernunft, nach seiner τέχνη, selbst gegen die überlieferten Gestezte den Bürgern aufzwingt (cf. Polit. 296d f.).

Von hieraus kommt Plato zur Kritik der Verfassungsformen: es ist von dem Standpunkte dieser Auffassung aus möglich, einen ὅρος (Norm) aufzustellen für die Herrschaft (das κύριον sagt Aristoteles) im Staate: nicht geschichtliche Ansprüche (Legitimitätsprinzip), nicht wirtschaftliche Überlegenheit (Oligarchie, Kapitalismus), noch der Mechanismus des Wahlverfahrens (Los), sondern das lebendige Wissen gibt den Ausschlag, wer ein richtiger πολιτικός ist und zum Herrscher zu machen ist. Cf. Polit. 292c <5–8>: τοῦτ’ αὐτὸ τοίνυν ἆρ’ ἐννοοῦμεν, ὅτι τὸν ὅρον οὐκ ὀλίγους οὐδὲ πολλούς, οὐδὲ τὸ ἑκούσιον οὐδὲ τὸ ἀκούσιον, οὐδὲ πενίαν οὐδὲ πλοῦτον γίγνεσθαι περὶ αὐτῶν χρεών, ἀλλά τινα ἐπιστήμην …, auch nicht das Los (cf. Polit. 298e).

Zu welchen unmöglichen Konsequenzen es führt, wenn nicht die τέχνη, das Fachwissen, den Ausschlag gibt, wer zum Amte eines Arztes oder Staatsmannes berufen werden soll, führt Plato im Politikos (298a ff.) aus: Nehmen wir an, die Menschen sind—sei es mit oder ohne berechtigten Grund—unzufrieden mit ihrem Arzt und beriefen deshalb eine Versammlung entweder der ganzen Volkes oder der Reichen allein, in der Jeder, auch der Sachverständige aus ganz anderen Berufen, mitreden könne und mitbestimmen, wie man die Arzneimittel und Instrumente in Zukunft handhaben solle. Das, was so den Meisten, seien es nun {69|70} Ärzte oder Laien, gutdünkte, würde als Gesetz festgestellt, aufgeschrieben, und nach diesen neugewonnenen Vorschriften müßte jetzt die Arzneikunst betrieben werden. Durchs Los bestellte man jetzt jedes Jahr entweder aus dem ganzen Volke oder aus den Reichen allein diejenigen, die nach diesen so gewonnenen Vorschriften dieses Jahr als Ärzte wirken sollten. Man richtete eine Stelle ein mit Strafgewalt, die darüber wachte, daß die bestellten Ärzte genau nach den vereinbarten Vorschriften heilten. Außerdem würde ein Gesetz erlassen, daß Jeder die so festgesetzten Vorschriften für die einzig richtigen halten müsse und es nicht wagen dürfe, selbständig nach Besserem zu forschen und das von ihm als richtig Erkannte, das wahre Wissen von der Heilkunst, die τέχνη, auch in die Tat umzusetzen. Ein solcher Neuerer müsse vielmehr wegen seiner Forschung ein eingebildeter sophistischer Schwätzer und wegen seiner ungesetzlichen Handlung ein Verderber der Jugend genannt und deswegen bestraft werden. — Eine Verfassung, die so durch ihre Vorschriften das ärztliche Wissen knebelte, würde den Tod der medizinischen Wissenschaft wie im entsprechenden Falle den einer jeden τέχνη zur Folge haben, ja durch ihr Verbot des Forschens [4] sogar ein Wiederaufleben der τέχνη für alle Zeiten unmöglich machen. Und von einer richtigen Behandlung der Körper und einer wahren Gesundheit der Menschen könnte unter der Herrschaft einer derartigen verdorbenen {70|71} Heilkunst, die die Vorschriften über die τέχνη stellte, keine Rede sein.

Plato verlangt von jeder τέχνη, also auch von der πολιτική, als zweites Hauptmoment, daß sie als Ziel das Gute haben soll. Auch dieses zweite Anfordernis der wahren τέχνη entwickelt er an der ἰατρική als Vorbild. Diese ist eine τέχνη, weil ihr einziger Gesichtspunkt das Gute ist, weil sie alle ihr Handlungen nur zu dem Zwecke verrichtet, um dem Körper das wahre, nicht ein scheinbares Wohlbefinden zu verschaffen, und weil sie in keiner Weise dem Angenehmen nachgibt auf Kosten des Guten (cf. Gorg. 464a ff.). Die ὀψοποιική dagegen ist überhaupt keine τέχνη (cf. Gorg. 462d), {72|73} sondern eine κολακεία; denn sie kümmert sich nicht darum, welche Speisen dem Körper zuträglich, [j] und welche schädlich für ihn sind; ihr einziger Gesichtspunkt ist, welche Speisen angenehm sind, gleichviel ob sie gut oder schlecht für die Gesundheit sind: τοῦ μὲν βελτίστου οὐδὲν φροντίζει, τῷ δὲ ἀεὶ ἡδίστῳ θηρεύεται τὴν ἄνοιαν καὶ ἐξαπατᾷ … κολακείαν μὲν οὖν αὐτὸ καλῶ καὶ αἰσχρόν φημι εἶναι τὸ τοιοῦτον, … ὅτι τοῦ ἡδέος στοχάζεται ἄνευ τοῦ βελτίστου (Gorg. 464d <1–465a2>). — Diesen Gegensatz zwischen τέχνη und κολακεία zeigt Plato dann weiter in dem Verhältnis von γυμναστική und κομμωτική. Während die γυμναστική eine τέχνη ist, weil sie rechte, dauernde Schönheit verschafft, ist die κομμωτική keine τέχνη, sondern nur eine κολακεία, weil ihr Ziel nicht eine wahre, sondern nur eine scheinbare, flüchtige Schönheit des Körpers ist. Im Gegensatz zur edlen τέχνη γυμναστική ist die κακοῦργός [8] τε οὖσα καὶ ἀπατηλὴ καὶ ἀγεννὴς καὶ ἀνελεύθερος, σχήμασι καὶ χρώμασι καὶ λειότητι καὶ ἐσθήσει ἀπατῶσα (cf. Gorg. 465b <3–5>).

Diesen strengen Begriff einer τέχνη legt Plato als Maßstab an alle menschlichen Verrichtungen an. Für ihn ist das Erfordernis einer jeden Verrichtung, die τέχνη sein will, daß sie nur das Gute zum Ziel hat und sich frei hält von aller Schmeichelei, von aller Rücksichtnachme auf die schlechten Lüste und Begierden der Menschen. Unter diesem Gesichtspunkte zerfallen alle menschlichen {73|74} Kultureinrichtungen (παρασκευαί) insgesamt in zwei Klassen, die sich scharf getrennt gegenüberstehen: αἱ μὲν τεχνικαί, προμήθειάν τινα ἔχουσαι τοῦ βελτίστου περὶ τὴν ψυχήν, αἱ δὲ τούτου μὲν ὀλιγωροῦσαι, ἐσκεμμέναι δὲ … τὴν ἡδονὴν μόνον τῆς ψυχῆς, τίνα ἂν αὐτῇ τρόπον γίγνοιτο, ἥτις δὲ ἢ βελτίων ἢ χείρων τῶν ἡδονῶν οὔτε σκοπούμεναι οὔτε μέλον αὐταῖς ἄλλο ἢ χαρίζεσθαι μόνον, εἴτε βέλτιον εἴτε χεῖρον … ἔγωγέ φημι τὸ τοιοῦτον κολακείαν εἶναι καὶ περὶ σῶμα καὶ περὶ ψυχὴν καὶ περὶ ἄλλο ὅτου ἄν τις τὴν ἡδονὴν θεραπεύῃ, ἀσκέπτως ἔχων τοῦ ἀμείνονός τε καὶ τοῦ χείρονος (Gorg. 501b <3–c5>). Plato wird nicht müde, diesen Gegensatz zwischen τέχνη und κολακεία immer wieder zu betonen: δύο ἔφαμεν εἶναι τὰς παρασκευὰς ἐπὶ τὸ ἕκαστον θεραπεύειν καὶ σῶμα καὶ ψυχήν, μίαν μὲν πρὸς ἡδονὴν ὁμιλεῖν, τὴν ἑτέραν δὲ πρὸς τὸ βέλτιστον, μὴ καταχαριζόμενον, ἀλλὰ διαμαχόμενον … ἡ μὲν ἑτέρα, ἡ πρὸς ἡδονήν, ἀγεννὴς καὶ οὐδὲν ἄλλο ἢ κολακεία τυγχάνει οὖσα, … ἡ δέ γε ἑτέρα, ὅπως ὡς βέλτιστον ἔσται τοῦτο, εἴτε σῶμα τυγχάνει ὂν εἴτε ψυχή, ὃ θεραπεύομεν (Gorg. 513d <2–e3>). — Bei Plato hat jede τέχνη, selbst wenn sie zunächst nur im Dienste persönlicher ἡδονή und λύπη steht, wie z.B. die ἀνδρεία (cf. Laches 195a : ἐπιστήμη τῶν δεινῶν τε καὶ θαρραλέων), doch als letztes Ziel das ἀγαθόν.

Weil sie diesem strengen Begriff der τέχνη nicht entsprechen, läßt Plato im Gorgias (502a ff.) αὐλητική, κιθαριστική, ἡ τῶν χορῶν διδασκαλία, ἡ τῶν διθυράμβων ποίησις, ja sogar ἡ τῆς τραγῳδίας ποίησις, kurz fast die gesamte “Kunst” nicht als τέχνη gelten und spricht ihr somit die Berechtigung ab, die er ihr im “Staate” nur soweit wieder {74|75} einräumt, als sie sittlich-guten Zwecken dient.

Dieser Gegensatz zwischen der τέχνη, dem Streben nach dem ἀγαθόν, und der κολακεία, dem Jagen nach dem ἡδύ Τίνα χρὴ τρόπον ζῆν; fragt Sokrates im Gorgias (500c); das Leben der Philosophie, d.h. der τέχνη, indem man sich bestrebt, seine eigene Seele und die seiner Mitbürger so gut als möglich zu machen; oder auf die entgegengesetzte Art, indem man nur das Angenehme, die Lust, zum Prinzip seines Leben macht?

Auch die πολιτική, will sie eine τέχνη sein, muß rücksichtslos als ihr einziges Ziel das Gute verfolgen, ohne dem Angenehmen irgendwie nachzugeben. So ordnet Plato die Politik in das objektive Kultursystem ein. Ihr τέχνη-Charakter bedeutet nicht weniger, als daß jetzt auch die geistigen Kulturtätigkeiten auf gewisse Grundlage gestellt und einem großen objektiven Zweck- und Schaffenszusammenhang eingefügt werden sollen. Es ist (für Platos Denken) ein der Kultur seines Zeitalters unwürdiger Zustand, daß diese Objektivierung zwar hinsichtlich der Pflege des menschlichen Körpers strikte durchgeführt ist durch ein ganzes System von materiellen τέχναι, während die Pflege der höheren Interessen der Gemeinde nur der Willkür überlassen ist und von Einzelnen zum persönlichen Geschäft gemacht wird.

Plato schließt zunächst alle egoistischen Motive in der “technischen” Politik aus. Nach seiner Auffassung ist der Staatsmann {75|76} für den Staat, nicht der Staat für den Staatsmann da. Und zwar beweist er diesen Satz an dem Beispiel der ἰατρική und durch Zurückgehen auf den strengen τέχνη-Begriff. Er tritt mit dieser seiner Forderung der Uneigennützigkeit des Staatsmannes in schärfsten Gegensatz zu Staatsmännern und Theoretikern seiner Zeit, wie Kallikles und Thrasymachos sie in Gorgias und Politeia verkörpern, nach deren Ansicht τρυφὴ καὶ ἀκολασία καὶ ἐλευθερία, ἐὰν ἐπικουρίαν ἔχῃ, τοῦτ’ ἐστὶν ἀρετή τε καὶ εὐδαιμονία (Gorg. 492c <4–6>). Der Staatsmann soll nach Kallikles’ Meinung den Staat dazu gebrauchen, um seinen Begierden Erfüllung zu verschaffen, um mehr zu haben als die Anderen. Cf. Gorg. 490a <6–8>: τοῦτο γὰρ οἶμαι ἐγὼ τὸ δίκαιον εἶναι φύσει, τὸ βελτίω ὄντα καὶ φρονιμώτερον καὶ ἄρχειν καὶ πλέον ἔχειν τῶν φαυλοτέρων. Plato verweist ihn dagegen auf den strengen τέχνη-Begriff. Im Wesen keiner τέχνη liegt es, daß, wer φρονιμώτερος und βελτίων und κρείττων in dieser τέχνη ist, von den zufällig mit dieser τέχνη verbundenen, ihr nicht wesenshaften Gütern am meisten haben soll, weder der Arzt von den Speisen, über die er die Bestimmung hat, noch der Staatsmann von den Gütern des Staates (cf. Gorg. 490c ff.).

Auch des Thrasymachos Auffassung (Πολ. I. 338c <1–2>): φημὶ γὰρ ἐγὼ εἶναι τὸ δίκαιον οὐκ ἄλλο τι ἢ τὸ τοῦ κρείττονος ξυμφέρον, widerlegt Plato, indem er den Thrasymachos anhält, die τέχνη in ihrem strengen Begriffe zu fassen. Cf. Πολ. I. 342b : σκόπει ἐκείνῳ τῷ ἀκριβεῖ λόγῳ. Nach diesem strengen Begriff besorgt keine τέχνη das für sie selbst, sondern das für die ihr {76|77} Untergebenen Zuträgliche. Cf. Πολ. I. 342b <3–e11>: οὔτε γὰρ πονηρία οὔτε ἁμαρτία οὐδεμία οὐδεμιᾷ τέχνῃ πάρεστιν, οὐδὲ προσήκει τέχνῃ ἄλλῳ τὸ ξυμφέρον ζητεῖν ἢ ἐκείνῳ οὗ τέχνη ἐστίν, αὐτὴ δὲ ἀβλαβὴς καὶ ἀκέραιός ἐστιν ὀρθὴ οὖσα, ἕωσπερ ἂν ᾖ ἑκάστη ἀκριβὴς ὅλη ἥπερ ἐστί … οὐκ ἄρα ἡ ἰατρικὴ ἰατρικῇ τὸ ξυμφέρον σκοπεῖ ἀλλὰ σώματι … οὐδὲ ἱππικὴ ἱππικῇ ἀλλὰ ἵπποις, οὐδὲ ἄλλη τέχνη οὐδεμία ἑαυτῇ, οὐδὲ γὰρ προσδεῖται, ἀλλ’ ἐκείνῳ, οὗ τέχνη ἐστίν … οὐκ ἄρα ἐπιστήμη γε οὐδεμία τὸ τοῦ κρείττονος ξυμφέρον σκοπεῖ οὐδ’ ἐπιτάττει, ἀλλὰ τὸ τοῦ ἥττονός τε καὶ ἀρχομένου ὑπὸ ἑαυτῆς οὐδ’ ἄλλος οὐδεὶς ἐν οὐδεμιᾷ ἀρχῇ, καθ’ ὅσον ἄρχων ἐστί, τὸ ἑαυτῷ ξυμφέρον σκοπεῖ οὐδ’ ἐπιτάττει, ἀλλὰ τὸ τῷ ἀρχομένῳ καὶ ᾧ ἂν αὐτὸς δημιουργῇ, καὶ πρὸς ἐκεῖνο βλέπων καὶ τὸ ἐκείνῳ ξυμφέρον καὶ πρέπον καὶ λέγει ἃ λέγει καὶ ποιεῖ ἃ ποιεῖ ἅπαντα.

Den Einwurf des Thrasymachos, daß doch auch der Hirt seine Herde nur weide, damit er selbst oder sein Gebieter Genuß und Nutzen davon habe, daß also doch das dem Herrscher Zuträgliche das Ziel dieser τέχνη sei, widerlegt Plato nochmals mit der strengen Fassung des τέχνη-Begriffes. Cf. Πολ. I. 345c f.: das Wesen der τέχνη ποιμενική ist nur das Weiden der Herde und das Beschützen vor Gefahren und überhaupt die Sorge für ihr Wohlergehen; der Nutzen, den der Hirt in Form von Lohn, Genuß usw. aus seiner Beschäftigung zieht, ist etwas der τέχνη ποιμενική Fremdes und gehört einer zweiten τέχνη an, der χρηματιστική. Der Hirt, sofern er Hirt ist, besorgt nur das der Herde, der Arzt, sofern er Arzt ist, besorgt nur das den Körpern, der πολιτικός, wenn er dem strengen Begriff seiner τέχνη entsprechen {77|78} will, besorgt nur das den Bürgern Zuträgliche, nicht das eigene Interesse.

Die πολιτική, wie sie Kallikles betreibt, ist keine τέχνη, sondern nur eine κολακεία, weil ihr Pinzip nicht das Gute, sondern nur das Angenehme ist, und weil {78|79} sie nur ihren eigenen Vorteil, nicht das Beste des Staates im Auge hat. Cf. Gorg. 502e <2–503a1>: πότερόν σοι δοκοῦσι πρὸς τὸ βέλτιστον ἀεὶ λέγειν οἱ ῥήτορες, τούτου στοχαζόμενοι, ὅπως οἱ πολῖται ὡς βέλτιστοι ἔσονται διὰ τοὺς αὑτῶν λόγους ἢ καὶ οὗτοι πρὸς τὸ χαρίζεσθαι τοῖς πολίταις ὡρμημένοι, καὶ ἕνεκα τοῦ ἰδίου τοῦ αὑτῶν ὀλιγωροῦντες τοῦ κοινοῦ, ὥσπερ πρὸς παισὶ προσομιλοῦσι τοῖς δήμοις, χαρίζεσθαι αὐτοῖς πειρώμενοι μόνον, εἰ δέ γε βελτίους ἔσονται ἢ χείρους διὰ ταῦτα, οὐδὲν φροντίζουσιν. — In dem Wort στοχάζεσθαι liegt der normative Charakter der platonischen Politik (σκοπός), in dem Gegensatz πρὸς χάριν—πρὸς τὸ βέλτιστον ihr Charakter als objektive Kulturtätigkeit angedeutet.

Als der einzige wahre πολιτικός, der im Besitze der πολιτικὴ τέχνη ist, fühlt sich der platonische Sokrates. Cf. Gorg. 521d <6–e1>: οἶμαι μετ’ ὀλίγων Ἀθηναίων, ἵνα μὴ εἴπω μόνος, ἐπιχειρεῖν τῇ ὡς ἀληθῶς πολιτικῇ τέχνῃ καὶ πράττειν τὰ πολιτικὰ μόνος τῶν νῦν· ἅτε οὖν οὐ πρὸς χάριν λέγων τοὺς λόγους οὓς λέγω ἑκάστοτε, ἀλλὰ πρὸς τὸ βέλτιστον, οὐ τὸ ἥδιστον, …

Plato verlangt im Gorgias als drittes Hauptmoment einer τέχνη die Richtung auf ein harmonisches Ganzes. Wir müssen hier noch einmal auf die schon oben [10] benutzten Stellen Gorg. 503e f. und Gorg. 506d verweisen. Eine jede Verrichtung ist nur dann eine τέχνη, wenn der δημιουργός, um seinem Werke eine bestimmte Gestalt zu geben, eine gewisse Ordnung [k] (τάξις) und Angemessenheit (πρέπον) und Harmonie (ἁρμόττειν) der Teile in sein Werk bringt. τάξις und κόσμος sind erforderlich wie im Einzelleben, {80} so im Leben des Staates und im ganzen Universum: φασὶ δὲ οἱ σοφοί … καὶ οὐρανὸν καὶ γῆν καὶ θεοὺς καὶ ἀνθρώπους τὴν κοινωνίαν συνέχειν καὶ φιλίαν καὶ κοσμιότητα καὶ σωφροσύνην καὶ δικαιότητα, καὶ τὸ ὅλον τοῦτο διὰ ταῦτα κόσμον καλοῦσιν, … οὐκ ἀκοσμίαν οὐδὲ ἀκολασίαν (Gorg. 507e <6–508a4>). — So ist es auch das Ziel der πολιτική, wenn sie eine τέχνη sein will, τάξις, das Sichineinanderfügen der einzelnen Teile des Staates zu einem harmonischen Ganzen, zu erzielen. Auf τάξις muß schon der Gründer des Staates sehen. Der Staat—hier zeigt sich neben dem τέχνη-Begriff wieder der Einfluß der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gedanken—soll in seinem Aufbau einem in Ordnung und Harmonie befindlichen Organismus, einem Einzelmenschen gleichen. Der Staat soll einerseits nicht ein allzu primitiver Organismus sein, der gleichsam nur aus vier Zellen besteht, dem γεωργός, οἰκοδόμος, ὑφάντης und σκυτοτόμος (cf. Πολ. I. 369d), sondern er bedarf einer reicheren Fülle und Gliederung; er soll sein wie ein menschlicher Körper mit vielen verschiedenen Organen. Aber wie der Körper keine überflüssigen Organe hat, so soll auch der Staat nur diejenigen Glieder in sich aufnehmen, die zu seinem Leben notwendig sind (cf. Πολ. II. 373d). — Und wie der Körper, wie überhaupt jedes Kunstwerk eine bestimmte mäßige Begrenzung hat und nicht ins Unübersehbare sich ausdehnt, so soll auch der Staat eine mäßige Ausdehnung haben an Bürgerzahl und Bodenfläche, damit er eine Einheit bleibt (cf. Πολ. IV. 423b).

{80|81} Diese Analogie von Mensch und Staat geht noch in vielen Zügen weiter. Wie es z.B. im Menschen drei Seelenkräfte gibt, das ἐπιθυμητικόν, das θυμοειδές und das νοητικόν, so im Staate die drei Klassen der δημιουργοί, στρατιῶται und ἄρχοντες. Und die ἀρεταί im Menschen, entsprechend den drei Seelenkräften, sind dieselben wie die ἀρεταί der drei Klassen im Staate, nämlich σωφροσύνη, ἀνδρεία und σοφία. Und wie im Menschen, so ist im Staate die oberste ἀρετή die δικαιοσύνη.

Diese δικαιοσύνη ist ihrem Wesen nach τάξις, die zustandekommt, wenn jedes Glied des Staates τὰ αὑτοῦ πράττει. — Der Staat, sagten wir, ist ein Organismus; wie nicht jedes Glied des menschlichen Körpers dem andern gleicht, so gleicht auch nicht jeder Bürger des Staates dem andern an Fähigkeiten und Tätigkeiten. Cf. Πολ. II. 370<a8–b2>: φύεται ἕκαστος οὐ πάνυ ὅμοιος ἑκάστῳ, ἀλλὰ διαφέρων τὴν φύσιν, ἄλλος ἐπ’ ἄλλου ἔργου πρᾶξιν. Wie nun das Wohlbefinden des Körpers darauf beruht, daß jedes einzelne Glied seine Funktion (ἔργον) recht erfüllt, so das Wohlbefinden des Staates darauf, daß jeder Bürger seine Funktion recht ausübt. Aber jedes Glied kann nur dann seine Funktion recht erfüllen—hier bringt Plato wieder den strengen τέχνη-Begriff in Anwendung—, wenn es nur diese eine Funktion ausübt und nicht in die Tätigkeit der anderen Glieder sich einmischen will. Denn Jeder ist dann am tüchtigsten, wenn er nur eine Funktion, wenn er nur eine τέχνη hat. Cf. Πολ. II. 370b <4–c5>: πότερον κάλλιον πράττοι ἄν τις εἷς ὢν πολλὰς τέχνας ἐργαζόμενος, ἢ ὅταν μίαν εἷς; — Ὅταν, {81|82} ἦ δ᾽ ὅς, εἷς μίαν. — Ἀλλὰ μὴν, οἶμαι, καὶ τόδε δῆλον, ὡς, ἐάν τίς τινος παρῇ ἔργου καιρόν, διόλλυται. — Δῆλον γάρ. — Οὐ γὰρ οἶμαι, ἐθέλει, τὸ πραττόμενον τὴν τοῦ πράττοντος σχολὴν περιμένειν, ἀλλ᾽ ἀνάγκη τὸν πράττοντα τῷ πραττομένῳ ἐπακολουθεῖν μὴ ἐν παρέργου μέρει. — Ἀνάγκη. — Ἐκ δὴ τούτων πλείω τε ἕκαστα γίγνεται καὶ κάλλιον καὶ ῥᾷον, ὅταν εἷς ἓν κατὰ φύσιν καὶ ἐν καιρῷ, σχολὴν τῶν ἄλλων ἄγων, πράττῃ. [11]

Es soll also Jeder nur eine τέχνη ausüben, zu der er die beste natürliche Anlage hat; in ihr soll er sich von Jugend an üben und alle Kräfte nur in ihren Dienst stellen. Auf diese Weise wird er das höchstmögliche Maß von Leistung aus sich herausholen und für die Allgemeinheit den größten Nutzen hergeben können. Cf. Πολ. II. 374<b6–9>: ἀλλ᾽ ἄρα τὸν μὲν σκυτοτόμον διεκωλύομεν μήτε γεωργὸν ἐπιχειρεῖν εἶναι ἅμα μήτε ὑφάντην μήτε οἰκοδόμον, ἵνα δὴ ἡμῖν τὸ τῆς σκυτικῆς ἔργον καλῶς γίγνοιτο; es soll Jeder τὰ αὑτοῦ πράττειν καὶ μὴ πολυπραγμονεῖν (Πολ. IV. 433a ). Denn so ist er zur höchsten Leistung für den Staat befähigt; und der Staat, indem Jeder an seinem Platze die ihm eigene Tätigkeit in möglichster Vollendung verrichtet, ist der beste Staat. Cf. Πολ. IV. 433d <1–5>: τοῦτο μάλιστα ἀγαθὴν αὐτὴν [sc. τὴν πόλιν] ποιεῖ ἐνὸν καὶ ἐν παιδὶ καὶ ἐν γυναικὶ καὶ δούλῳ καὶ ἐλευθέρῳ καὶ δημιουργῷ καὶ ἄρχοντι καὶ ἀρχομένῳ, ὅτι τὸ αὑτοῦ ἕκαστος εἷς ὢν ἔπραττε καὶ οὐκ ἐπολυπραγμόνει. Die Vielgeschäftigkeit des Einzelnen läuft zum {82|83} Schaden des Staates aus. Es soll weder ein Handwerker die Arbeit eines anderen Handwerkers verrichten, weil er sie schlecht verrichten wird, noch ein Bürger aus einer der drei Klassen in die andere sich eindrängen, weil er für diese Klasse nicht die nötigen Fähigkeiten besitzt. Tut er es, so ist dies eine ἀδικία gegen den Staat. Cf. Πολ. IV. 434b <9–c10>: ἡ τριῶν ἄρα ὄντων γενῶν πολυπραγμοσύνη καὶ μεταβολὴ εἰς ἄλληλα μεγίστη τε βλάβη τῇ πόλει καὶ ὀρθότατ᾽ ἂν προσαγορεύοιτο μάλιστα κακουργία … κακουργίαν δὲ τὴν μεγίστην τῆς ἑαυτοῦ πόλεως οὐκ ἀδικίαν φήσεις εἶναι; — Πῶς δ᾽ οὔ; — Τοῦτο μὲν ἄρα ἀδικία. … χρηματιστικοῦ, ἐπικουρικοῦ, φυλακικοῦ γένους οἰκειοπραγία, ἑκάστου τούτων τὸ αὑτοῦ πράττοντος ἐν πόλει, τοὐναντίον ἐκείνου δικαιοσύνη τ᾽ ἂν εἴη καὶ τὴν πόλιν δικαίαν παρέχοι.

Das Hauptmoment, das Plato von der τέχνη, insbesondere von der Medizin, ableitet, und auf alle Erscheinungen im Leben des Menschen und der Gesellschaft angewandt wissen will, ist das Rationale und Methodische. Dieses scharfe Erfassen aller Lebenserscheinungen unter dem Gesichtspunkte des Rationalen war dem Plato einesteils von Sokrates überkommen. Nohl (Sokrates u. d. Ethik pag. 23 ff.) zeigt die allgemeine Tendenz des Zeitalters zu diesem Rationalismus, der sich in Sokrates in besonders scharfer Form verkörpert. Andrerseits hat es seinem Grund im Platos methodischem Genie.

Aber Plato ist nicht wie Sokrates bei diesem Rationalismus stehen geblieben. Über ihn hinaus kennt er ein {83|84} höheres, überrationales Erkennen, die Intuition. Das besondere Verständnis für sie, das Plato auszeichnet, der geradezu ihr Entdecker heißen muß, kündigt sich in seinem Begriff des θεᾶσθαι, der ἰδέα, des Erkennens θείᾳ μοίρᾳ an, in der Heranziehung des dichterischen und religiösen, des seherischen Erkennens und endlich in der Lehre von der μανία. Vor Allem ist Platos eigenste Lehre, die Ideenlehre, so viel auch die τέχνη zu ihrem Aufbau beigetragen haben mag, weit mehr als ein Produkt des reinen Rationalismus.

Footnotes

[ back ] 1. ῥήτωρ ist 1) der Redner vor Gericht, 2) der Redner in den politischen Volksversammlungen, dessen ῥητορική zugleich Redekunst und Staatskunst ist, 3) der Lehrer der Beredsamkeit.

[ back ] 2. Der καιρός spielt in allen τέχναι, nicht nur der ἰατρική, eine bestimmte Rolle, weil eben τέχνη angewandtes Wissen ist.

[ back ] 3. Dieses Prinzip der individuellen Behandlung in der Medizin aufgestellt zu haben ist das Verdienst des Hippokrates.

[ back ] 4. Solche Verbote kamen vor, z.B. Kritias gegen Sokrates während der Herrschaft der Dreißig. Cf. Xenophon Mem. 31 ff.

[ back ] 5. Cf. Gorg. 521d f.

[ back ] 6. Vgl. dazu Aristoteles’ Versuch einer Rettung der demokratischen πολιτεία durch seine Lehre von der Kollektivvernunft. Polit. Γ cap. 11.

[ back ] 7. Cf. pag. 21.

[ back ] 8. Cf. Menex 24<6e7–247a2>: πᾶσά τε ἐπιστήμη χωριζομένη δικαιοσύνης καὶ τῆς ἄλλης ἀρετῆς πανουργία, οὐ σοφία φαίνεται. Ebenso ist für Plato ein Herrschen ohne sittliche Grundsätze nicht νόμος, sondern ἀνομία (Hipp. mai. 284d), ein Draufgehen ohne προμήθεια nicht ἀνδρεία, sondern θρασύτης (Laches 197b); so kann man auch nur von δύναμις reden, εἰ τὸ δύνασθαί γε λέγεις ἀγαθόν τι εἶναι τῷ δυναμένῳ (Gorg. 466b <6–7>).

[ back ] 9. Die Wirkungen dieser Forderungen kann man in Demosthenes’ politischen Reden auf Schritt und Tritt beobachten; er lehnt es fortwährend ab, πρὸς χάριν zu sprechen. Dies war ein Axiom, das sich von selbst aus der Verwilderung des politischen Lebens im peloponnesischen Kriege herausstellte. Auch Isokrates macht aus der Politik eine τέχνη, eine φρόνησις, die er theoretisch lehrt.

[ back ] 10. pag. 51 u. 52.

[ back ] 11. Aus dieser Fassung des τέχνη-Begriffes heraus findet Plato auch die Erklärung für die Tatsache (cf. Πολ. III. 395a), daß Niemand zugleich eine gute Tragödie und Komödie schreiben könne (cf. pag. 25).